Zuflucht

Zuflucht — darin ist Flucht verborgen. Sechs von acht Buchstaben. Flucht macht den größten Teil von Zuflucht aus, und ich wundere mich, dass mir das früher nicht aufgefallen ist. Genau hinsehen hat auch hier einen bedeutenden Unterschied gemacht. Früher war Zuflucht ein gutes Wort, tröstlich und voller Hoffnung. Jetzt enthält es zu sechs Achteln die Grausamkeit der Flucht. Aber auch die Hoffnung ist da, dass es auf der Flucht irgendwo Schutz geben kann. Zuflucht ist nicht das Ende der Flucht. Bestenfalls eine Unterbrechung, ein kurzes Atem holen, ein Aufblitzen von Menschlichkeit. Ein Zelt, etwas zu essen, ein Bett, eine Dusche. Ein Zimmer im Flüchtlingswohnheim. Eine Wohnung in der Fremde. Freundliche Menschen, die eine fremde Sprache sprechen. Zuflucht ist eine geöffnete Tür. Jedoch nicht die Türe zu einem verlassenen Haus, die der Wind aufgeweht hat. Das Haus ist bewohnt, und jemand, ein Mensch, hat denen, die flüchten, eine Türe geöffnet. Ich hoffe für uns, die wir bis jetzt von der Notwendigkeit der Flucht verschont geblieben sind, dass wir es sind, die Türen öffnen.

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Der neunte Tag

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Mein Text für neolith # 6